Bewusstsein (I) - was ist das?

Was auch immer Bewusstsein "ist" - es muss Struktur haben. Selbst Leere kann nur im Gegensatz zu Fülle definiert werden und Nichtdualität gegenüber Dualität (wie schon das Wort sagt). Oder es ist einfach "Mu". Und damit wäre dieses Buch - und alles sonst - zu Ende.

Ich schlage vor, wir lassen uns damit noch etwas Zeit und versuchen, von einem möglichst konkreten Bewusstsein auszugehen, von einem bewussten Gegenstand, sagen wir einem Wasserglas. Wir nehmen mit ihm etwas wahr, das wir von uns selbst unterscheiden. Aber wir unterscheiden es auch von seiner Umgebung (Tisch, Schrank, Zimmer) und bestimmen es im Vergleich mit anderen bekannten Dingen (Tisch, Tasse, Teller) zu dem, was es "ist". Das heißt, wir umschreiben sein Dasein mit Vergleichen. Ebenso stabilisiert es sich durch äußere und innere Wechselwirkungen (Eingießen und Trinken, molekulare Anziehung und Abstoßung).

Wir können diese Wechselwirkungen immer weiter hinterfragen und werden dabei nie einen Boden finden. Biologische Abläufe, mechanische Bewegungsgesetze und physikalische Felder bleiben leer ohne eine Struktur, die sie umschreibt. Das heißt, wir können Umschreibung als Grundeigenschaft alles Bewussten und damit des Bewusstseins ansehen.

Im Zentrum jeder Umschreibung ergibt sich nun etwas, das bisher enorm unterschätzt wird: der Mittelpunkt. Ein einziger Punkt, der sich unmittelbar auf das Ganze bezieht. Beim Wasserglas ist es zum Beispiel der Schwerpunkt und optische Mittelpunkt oder, wenn sich beide unterscheiden, die durch sie umschriebene Mitte und so weiter. Denn nur das Ganze als solches hat eine Mitte. Durch jede Teilung entstehen neue Zentren (die der Splitter) und durch jede Änderung (wie eine Einfassung mit Henkel) ein anderes. Sogar dann, wenn die Änderung symmetrisch verläuft (ohne Henkel): Da der Mittelpunkt wie jeder andere Punkt an sich nichts ist und ihm nur in Bezug auf eine bestimmte Ganzheit Bedeutung zukommt, umschreibt ein anderes Ganzes einen anderen Mittelpunkt - auch an der gleichen "Stelle" (hier die Mitte eines eingefassten Glases). Und schon der Punkt neben der Mitte ist die Mitte von etwas anderem (einer Einheit von Glas und Löffel etwa). 

Somit besteht zwischen dem unendlich kleinen - infinitesimalen - Zentrum und der umschreibenden Ganzheit eine einzigartige Beziehung. Den Mittelpunkt zu ignorieren hieße das Ganze zu ignorieren. In der Peripherie (Randzone) wiederum ist die Außengrenze maßgeblich für das Ganze, womit deren Beziehung zum Mittelpunkt hervorgehoben wird. 

Da diese Struktur auch für alle Teilbereiche eines Gegenstandes gilt, sowie für deren Beziehungen zur Ganzheit, dazu zwischen Mitte und Peripherie und zwischen dieser Mitte und ihrer Peripherie und so weiter, nenne ich diese Gesamtheit Infinitesimalstruktur oder I-Struktur

Natürlich ist auch die Beziehung zwischen uns (dem Gegenstand unseres Selbstbewusstseins) und dem mehr äußerlichen Objekt i-strukturiert. Und wenn wir in einen Gegenstand eintauchen, finden wir dort nur unterschiedliche I-Strukturen: Zitternde "Teilchen", schwingende "Felder", umschriebene "Gesetze".

Damit haben wir nicht weniger definiert als die Oberfläche von Bewusstsein. Was wir intuitiv als "Einheit des Objektes" ansehen, kondensiert dabei symbolisch um das Zentrum herum, das heißt, wir nehmen die Einheit dort stärker war, weil sie am Mittelpunkt der Ganzheit am nächsten ist. (Sogar im leeren Glas: Wenn ein wenig absplittert, ändert sich die Mitte kaum, und so ist es noch immer ein Glas.) "Teile" werden eher als peripher wahrgenommen, wo sie auch schneller mal "bröckeln". Da das Bewusstsein ständig in umschreibender Bewegung ist und so mehr oder weniger statische Gegenstände kondensiert, nenne ich es in meinem Buch Die Erschaffung der Realität quasistatisch.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem theoretischen Teil meines Buches
Wahrhaftigkeit. Mit welchem Bewusstsein wir Realität erschaffen



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