Die Frage ob wir frei zwischen mehreren Möglichkeiten wählen
können, ohne uns diese Freiheit einzubilden oder mit Zufall zu verwechseln,
führt uns zur Wahrheit über unsere Verantwortung. Denn wenn wir etwas zu verantworten
hätten, das zwar von uns kommt, nicht aber durch uns entschieden wurde, wäre es nicht mehr als die Verantwortung einer
Wolke für ihren Regen.
Um die Antwort zu finden, werden wir die einfache Wahl
zwischen zwei Fortsetzungen unseres Tages betrachten, zum Beispiel, ob wir
heute ins Kino oder ins Theater gehen. Eigentlich mögen wir beides gleich gern,
obschon wir manchmal mehr auf das eine als auf das andere Lust haben. Heute ist
es uns jedoch wirklich egal, wir könnten ebenso gut eine Münze werfen. Tun wir
aber nicht - das wäre zu billig. Wir überlegen. Wir versetzen uns mal ins
Kino, dann wieder ins Theater und wieder zurück in die Gegenwart und so weiter.
Damit umschreiben wir die Ganzheit der Entscheidungssituation, wobei die
Gegenwart ihr Zentrum ist. Strenggenommen ist dieses Zentrum unendlich klein,
genau in der Mitte der ganzen Umschreibung mit ihren sämtlichen Details. Also in
uns.
In der Peripherie wiederum beeinflusst unsere Wahrnehmung
des Kinos die anschließende Wahrnehmung des Theaters und umgekehrt - und wiederum
unsere Gegenwart und umgekehrt. Die Unbestimmtheit
zwischen den bestimmten Varianten
kondensiert dabei zur Bestimmtheit
der Entscheidungssituation bis hin zu deren genauem Mittelpunkt, der
andererseits völlig neutral ist, sich also unbestimmt
verhält. Damit aber ist auch die ganze Situation wieder unbestimmt und so
weiter.
Wir sind noch nicht fertig: Kino und Theater innerhalb und
drum herum, wie auch die Wege dorthin mit allen Einzelheiten werden ja ebenso
durch die Bewegung unserer Aufmerksamkeit umschrieben. Statt unsere Gedanken um
ein Kino kreisen zulassen, könnten wir auch zur U-Bahn und zum Tanzclub schweifen
und das ganze Theater vergessen. Stattdessen konzentrieren wir uns absichtlich
auf jene Abwägung zwischen Zielen, Sitzplätzen, Zugangswegen. Das heißt, die Bestimmtheits-/Unbestimmtheitsstruktur
gilt auch für jedes Detail des Abwägungsprozesses. Und damit
sind überall kleine Entscheidungen fällig. Wir können dieser Entscheidungsstruktur
nirgendwo entkommen - es ist eine I-Struktur (Infinitesimalstruktur).
Diese Prozessstruktur
vereint Bestimmtheit und Unbestimmtheit an
jeder Stelle auch total. Denn indem
beide aufeinander verweisen und zur Mitte der so umschriebenen Ganzheit hin ineinander aufgehen, sind sie genau dort
nicht einmal mehr teilweise getrennt.
Wo also ist der jeweilige "Punkt" der Entscheidung?
Offenbar nicht im neutralen Zentrum
zwischen den Alternativen, sondern zwischen
Zentrum und Peripherie, in eben jenem
Zentrum zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Wo auch immer das exakt ist. Denn
"das" kann immer nur dazwischen
sein, sonst wäre es eine Seite. Man kann es nur "eingrenzen", aber
niemals festmachen. Es ist eigentlich über den ganzen Prozess verteilt und konzentriert sich nur um zentrale
Stellen - insgesamt in uns, aber
in Richtung unserer Ziele und zwischen ihnen.
Aus dieser i-strukturierten Einheit der Teileinheiten kann nicht
nur, sondern muss eine freie Entscheidung
kommen. Dies ist die einzige Möglichkeit, die einzig sinnvolle Beschreibung. Es
spielt keine Rolle, dass die Wahl für Außenstehende auch überwiegend zufällig
oder bedingt gewesen sein könnte. Zufälle und Bedingungen wie Wetter und Fahrpläne
gingen natürlich in die Entscheidung ein und haben deren Spielraum im peripheren
Bereich des Prozesses begrenzt. Aber die Peripherie ist eben nur eine Seite des
Ganzen - eine der nicht
entscheidenden.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem theoretischen Teil meines Buches
Wahrhaftigkeit. Mit welchem Bewusstsein wir Realität erschaffen
Dieser Text ist ein Auszug aus dem theoretischen Teil meines Buches
Wahrhaftigkeit. Mit welchem Bewusstsein wir Realität erschaffen