Der Realitätstrichter (Bewusstsein II)

In Bewusstsein I haben wir die Bildung von I-Strukturen durch Umschreibung behandelt und in Gewahrsein I den Wechsel der Perspektive als solchen. Doch im Grunde ist beides ein und dasselbe.

Umschreibende Bewegung - Bewusstsein - ist natürlich ein Wechsel von individuellen Blickwinkeln. Und die Wahrnehmung eines Wechsels - Gewahrsein - umschreibt auch eine konstante Mitte. Der Unterschied zwischen betonter Umschreibung und betontem Wechsel liegt in der Dichte des umschriebenen Zentralbereichs. Bildet der umschreibende Wechsel (zum Beispiel zwischen Fassaden) ein Objekt aus (ein Haus), symbolisiert das inhaltlich dichte Zentrum dessen Einheit ("drin sein"). Wird der Wechsel mehr als solcher wahr­genommen, ist der Objektcharakter dünn ("Sind es mehrere Häuser oder eins?").

Das Maximum der Einheit liegt im intuitiven Mittelpunkt, während das Maximum des Wechsels im Wechsel selbst besteht. Das heißt, der Wechsel ist maßgebend und die Umschreibung abgeleitet. (Ohne Fassaden auch kein Drinnen.)

Nun ist aber die "Spur" des Wechsels (des Fassadenlaufs) in der Erinnerung mehr oder weniger zusammengewickelt, also verdichtet, und dem jeweiligen Gewahrsein ist der gesamte Wechsel nur unvollständig bewusst (etwa zwischen drei bloßen Wänden mit Ecken und ein paar Fenstern). Der Rest (mehr Fenster, Dachkammer, Rückwand) führt ins gerade nicht Bewusste, in eine Verengung.

Gewahrsein beinhaltet zwar auch ein Bewusstsein dieses Übergangs ("näher heran, nach hinten"). Doch Bewusstsein ist gewissermaßen der "obere" Abschnitt des Gewahrseins, während Gewahrsein als solches auch das gerade nicht Bewusste "weiter unten" umfasst, indem es mit ihm wechselt. Das ist mehr als ein punktueller Übergang oder ein geronnenes Potential. Aus dem Wechsel zwischen Bewusstem und Unterbewusstem "empfängt" das Gewahrsein sozusagen Eindrücke und Ahnungen, die dem statischeren Bewusstsein entgehen ("eine Kammer irgendwo").

Insgesamt ähnelt das Bewusstsein einem Trichter, dessen Rand die umschreibende (Wechsel-) Bewegung darstellt, die sich nach innen verdichtet und verengt und mit dem Trichterkanal in das gerade nicht Bewusste übergeht. Nur der Mittelpunkt der ganzen Bewegung bleibt immer bewusst. Das Gewahrsein dagegen folgt dem Kanal bis auf die andere Seite ("nach hinten, um die Ecke"), das heißt, es wechselt in das dortige Bewusstsein, dessen Kanal wieder zurückführt.

Der Unterschied ist nicht streng: Bewusstsein ist immer Gewahrsein! Gewahrsein ist auch bewusst, weist aber darüber hinaus und beinhaltet immer mehr als gerade bewusst ist. Wechsel lässt sich nicht annähernd festschreiben. Mit dem Bewusstsein versuchen wir nur davon abzusehen, und dann entgleitet uns dessen eigene wechselhafte Natur, das Gewahrsein, aus dem es sich "herausdreht". 

Der Zusammenhang von Gewahrsein und Bewusstsein hat sich auch in Individualität und Realität angedeutet: Durch den Wechsel der individuellen Wahrnehmung wird eine gemeinsame Näherung konstruiert, eine bewusste Realität (ein rollender Stift, ein Haus). Weil sich die Wechsel-Wicklung bei der Näherungsbildung verdichtet und die wechselnden Standpunkte im Trichterkanal "verschwinden", überschauen wir die Realitätsbildung nicht. Da Bewusstsein jedoch immer annähernde Gemeinsamkeiten erzeugt, ist der Bewusstseinstrichter ein Realitätstrichter. Er erschafft Realität aus dem Trichterkanal durch die Annäherung von Individualitäten zu einem Bewusstsein, aber an keiner Stelle durch einen Verzicht auf sie. Alles bleibt Gewahrsein.

Einige Aspekte werden auch aus den folgenden Abbildungen deutlich.

 

Abb 1: Oben dargestellt ist die umschreibende Verdichtung im Realitätstrichter. Darunter zeigt eine mögliche Draufsicht, wie der Wechsel der Perspektive zu einem scheinbar ruhenden Objektbewusstsein kondensiert.


  

Abb. 2: Hier ist Abb. 1 zusammengefasst und weiter vereinfacht. Diesmal habe ich die Gesamtbewegung der Perspektive und das sich ergebende räumliche Objektgewahrsein betont.