Andere würden eher fragen, welchen Sinn das Leben denn haben
soll, wenn nicht den, glücklich zu werden. Wirklich? Ist das alles?
Da würde vielleicht auch eine raffinierte Droge genügen, die
bis an ein fernes Lebensende vollkommene Glücksgefühle beschert. Nicht?
Gut, mir wäre das auch zu dumpf. Aber was suchen wir
stattdessen?
Weltweite Umfragen haben gezeigt, dass die Menschen in
einigen armen, stagnierenden Ländern glücklicher sind als in den meisten
reichen, sich entwickelnden. Warum streben wir dann nach immer mehr? Man könnte
meinen, wir suchen in der falschen Richtung. Doch die Häufigkeit dieser
Richtung in reichen und armen Ländern
lässt etwas anderes vermuten: Der Sinn sei nicht Glück, sondern Wachstum. Natürlich geht es dabei um geistig-seelischen
Reichtum, selbst wenn er durch Erwachsenenspielzeug und andere Vergnügungen
erlangt werden soll. Wenn Glück unserem geistig-seelischen Wachstum dient, gut.
Wenn nicht, wird es letztlich kein Glück mehr sein, sondern so hohl wie
sechs Limousinen für eine Person (die sich deshalb die siebente kauft).
Wahrscheinlich liegt darin ein Grund, warum viele Menschen
lieber nach Ergebnissen eigener Arbeit streben und mit einer Art Lottogewinn höchstens
liebäugeln. Sie suchen mehr oder weniger bewusst nach Herausforderung ihrer
Fähigkeiten und wollen sich entwickeln, statt (nur) bequem zu erben. Und sie wählen
unbewusst Partner, die immer mal das Letzte aus ihnen herausholen.
Manche Glücklichen streben aber auch bei näherem Hinsehen weder
eine nennenswerte Entwicklung ihrer Fähigkeiten an noch suchen sie besondere
Erfahrungen oder eine wesentliche Erweiterung ihres Gewahrseins. Sie folgen
einfach ihren inneren Werten und lassen andere dasselbe tun. Hat das Sinn?
Immerhin ist der Sinn des Daseins zunächst das Dasein
selbst. Sonst wäre ja nichts da. Mit
unserem Dasein sind Erfahrung und Entfaltung gesichert, selbst wenn wir nichts
anderes tun als faulenzen. Wir nehmen etwas wahr und unsere Existenz drückt
etwas aus. Wir werden wahrgenommen und erhalten Reaktionen. Allenfalls können
wir über das Ausmaß solch
wechselseitiger Entwicklung diskutieren.
Wenn Sie jedoch Gewahrsein I und Gewahrsein II gelesen
haben, wissen Sie, dass sich unsere ständig wechselnden Wahrnehmungen nicht
streng zu einer einzigen - Ihrer oder meiner - zusammenbringen
lassen. Vielmehr gewahren wir ein grenzenloses, dynamisches Unterbewusstsein.
Das heißt, wir verfügen über eine innere
Verbindung zu anderen Individuen. Unsere eigene gespürte Individualität geht
aus dieser Wechselverflechtung hervor. Daher können wir Sinn nicht bloß als
flaches In-der-Welt-sein verstehen, sondern müssen ihn aus dem tiefen
Zusammenhang mit anderen Wesen begreifen. Trägt also unser Glück zur
Entwicklung und Erfüllung tiefer, innerer Werte vieler Individuen bei, ist es
sinnvoller, als wenn es das nicht tut.
Umgekehrt allerdings muss eine solche Werterfüllung nicht glücklich
machen. Glückseligkeit ist nur eine Art
des Gewahrseins, die aus der Verflechtung der Individuen entstehen mag. Sogar
wenn wir tiefe kollektive Ideale zum Maßstab nehmen und nur dann von Sinn sprechen,
wenn wir "in ihrem Sinn" handeln, bedeutet das nicht zwangsläufig größeres
Glück. Denn es sagt weder genug über unsere innere Harmonie aus noch über die
Harmonie mit anderen: Wir können, wenn wir unglücklich sind, anderen guttun,
ohne uns besser zu fühlen; und auch in sich ruhende Lehrer können unter der
Langsamkeit ihrer Schüler leiden.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch